Von René Triebl.
Was in den Medien im Zuge diverser Imagekampagen regelmäßig und mit Nachdruck behauptet wird, jedoch leider meist ohne Entsprechung bleibt, wurde nun einmal tatsächlich vergangenen Mittwoch im Museum St Peter a.d. Sperr grandiose Realität: Wiener Neustadt löste Versprechungen ein, sprengte die Ketten provinzieller Perspektive und präsentierte sich, wohl auch wegen des aussergewöhnlichen und großherzigen Engagements von dessen Direktorin Frau Mag. Eveline Klein, als Weltstadt und Kulturstadt: die Stadt zeigt in der Kirche von St. Peter an der Sperr große, lokale Kunst von internationlem Format.
Von vielen Kunstliebhabern und Kulturschaffenden bereits seit Jahren mit großer Sehnsucht und Spannung erwartet, ging nun am 31. August die Vernisssage zu „Freischwimmer“, der neuen Ausstellung von Skulpturen der Wiener Neustädter Bildhauerin Claudia Presoly, über die Bühne.
Schon das sinnliche Plakat einer schwebenden, eleganten Figur, lösgelöst wirkend und wunderbar photographiert von Rüdiger Rohde, ließ uns frohlocken und, zusammen mit dem vieldeutigen Titel ahnen, daß wohl schon wie bei ihrer ersten Ausstellung vor 16 Jahren, wieder der Mensch, nicht nur als ästhetisierte Hülle, sondern in all seiner Innerlichkeit, seiner Verwundbarkeit und mit all seinen oft im Alltag unterdrückten Facetten im Vordergrund dieser Ausstellung stehen wird.
Tatsächlich ist man bereits kurz nach dem Eintritt in das Kirchenschiff völlig ergriffen, überwältigt von der sinnlichen Schönheit und haptischen Eleganz ihrer Figuren aus mit Sägemehl vermischten Pappmaché und ihrer weitausholenden dynamischen Gestik, deren expressive Kraft einen unmittelbar erreicht. Fast sofort vergisst man den Lärm des gerade noch erfahreren Alltags, eine große Ruhe stellt sich ein, und angeregt von den langsam, immer mehr sichtbaren Details kommt man zusehends in eine Art phantastisches, fast surreales „Zwischenreich“.
Nach einer ersten Runde des Staunens und Fühlens wird langsam deutlich: Claudia Presoly öffnet hier sichtbar ihre Seele, entführt uns in dieser Ausstellung in ihre eigene Innenwelt, ladet uns ein, sich auch persönlich vollkommen darauf einzulassen und diese gemeinsam auszuloten, teilzuhaben an ihrem Frausein, ihren Sehnsüchten, Widersprüchen und Ängsten. Sie spiegelt aber damit gleichzeitig das Menschsein an sich, zeigt den Menschen völlig reduziert und nackt, als das große Mysterium in all seiner Zerbrechlichkeit, seiner Ausgesetzheit, seiner Zärtlichkeit, aber auch seiner unerklärlichen und hoffnungslosen Geworfenheit zum Tode.
Ein Hauch von Melancholie und „Memento Mori“ weht durch das Kirchenschiff, religiöse Gedanken oszillieren mit eigenen Erinnerungen und Zitaten aus der Kunstgeschichte: Emblematische Bilder von Dominikos Theotokópoulos (El Greco), Ernst Ludwig Kirchner, Egon Schiele, George Minne, Alfred Kubin, Hans Holbein u.a. ziehen immer wieder im Geist vorüber.
„Jedes Kunstwerk ist eine vorweggenommene Antwort auf den Tod.
Man hat dafür eine Zeit, dann läuft die Zeit ab.
Was bleibt ist ein bewusst gesetztes Zeichen des Lebens, Lebenszeichen“
Markus Prachensky (1932- 2011)
Kunst ist ja bekannlich eine Verdichtungsleistung, eine Vermittlung, eine Übersetzung in eine persönliche Sprache, und Claudia Presoly führt uns hier in grandioser Weise vor Augen, auf welche subtile und überaus sensible Art und Weise sie Inhalte auch aus den Untiefen ihrer Seele bis hin zum teilweise Unbewussten sie in dieser Werkreihe zum Sprechen bringen kann.
Ihre Figuren erscheinen wie sichtbar gemachte Seelenlagen, und auch ihre Herzen spiegeln diese in ihrer Symbolik wieder, strecken sich wie angebotene Opfergaben dem Betrachter entgegen, in ihrer Offenheit wie entrissen, wie ein Aufbegehren gegen soziale Kälte und den Wahnsinn der Welt, wie Anklagen gegen diese vom Kapitalismus völlig devastierte, herzlos gewordene Gesellschaft.
Kunst erscheint hier in seiner eigentlichen Funktion als wesentlichste und ureigendste Manifestation des Menschseins, die weit über vordergründige Ästhetisierung hinausreicht.
Trotz dieser so überaus sensiblen Hinweise auf die Zerbrechlichkeit des Lebens wirken die Figuren dennoch nicht wirklich verloren, bäumen sich kraftvoll auf, „schwimmen sich frei“, fliegen am Ende in die Höhen der Apsis und weisen somit auf eine mögliche Erlösung hin.
In ihrer Ernsthaftigkeit und klaren Linie ist diese Ausstellung auch ein bewusst gesetzter Gegenpol zur oft üblicher Ablenkung durch Farbe, Beliebigkeit durch totale Abstraktion oder demonstativ aufdringlichen Positivismus in der Kunst. Sie ist ein mit größter persönlicher Hingabe gestaltetes Kaleidoskop von Gefühlen und gleichzeitig mutiges Zeichen, menschliches Leben in seiner Besonderheit und Einmaligkeit ernst zu nehmen und in einem persönlichen Ringen mit seinen Dämonen auch vollständig erfassen zu wollen, Zweifel, Widersprüche und Kränkungen auszuhalten und nicht auszublenden.
Statt uns zu zersteuen fokussiert uns Claudia Presoly auf wirklich wesentliche Elemente unseres Daseins, vertieft unsere eigentliche Existenz.
Dadurch erreicht sie die höchste Stufe und ihre Kunst tritt schonungslos in die Mitte des wirklichen Lebens, macht sie dadurch nachvollziehbar, ja fast körperlich spürbar, spendet gerade damit Trost und gibt Anlass zu Hoffnung. Auch die bewusst gesetzte Einbindung von Olbildern ihrer jüngeren Verwandschaft in das Gesamtbild setzt ein Zeichen dieser Hoffnung und weist in eine mögliche, vielleicht doch noch menschenwürdige und lebbare Zukunft.
„Freischwimmer“ ist ohne Frage eine der bedeutensten Ausstellungen der letzten Jahre, spannend, eindringlich, schonungslos und mit dem Potential, Grenzen im Verstehen von Kunst zu erweitern und in sich neue Horizonte zu erschließen. Die Stadt öffnete dafür völlig zu recht ihren wichtigsten Austellungsort um Claudia Presolys kompromisslose Kunst auch in dafür entsprechendem Rahmen zu voller Entfaltung bringen zu können.
Die zurecht aussergewöhnlich gut besuchte und vom anwesenden Publikum mit großer Begeisterung aufgenommene Vernissage wurde dann zur Sternstunde dieses Sommers und auch zu einer der sicher noch lange in Erinnerung bleibenden, kulturellen Höhepunkte in dieser Stadt.
(Fotos: René Triebl).