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Kulturschaffende

 

Es wirkt kurios, dass ausgerechnet in einer Zeit, in welcher die Kultur und das „Schaffen“ von Kultur am Boden liegen, der Begriff „Kulturschaffende“ in Frage gestellt wird. Die Historikerin Isolde Vogel hatte herausgefunden, dass es sich hierbei um einen Begriff des NS-Vokabulars handelt. Vogel stellt in ihrem Aufsatz heraus, dass es sich bei „Kulturschaffende“ um eine Wortschöpfung der Reichskulturkammer handelt, welche wiederum dem „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ angegliedert gewesen war.

https://kupf.at/zeitung/177/ideologie-des-schaffens/

Die Historikerin Vogel verweist auf die Zusammenhänge zwischen Ideologie sowie Kunst & Kultur unter dem Schirm der Propaganda und vertieft die Begrifflichkeit „Kulturschaffende“ mit den vermeintlichen „Werten“ des damaligen NS-Regimes sowie jenen kulturellen Strömungen, welche ausgegrenzt und als „undeutsch“ oder „entartet“ deklariert und verleumdet worden waren.

Der Aufsatz von Frau Vogel, die sich auch auf antisemitische Aspekte konzentriert, ließe sich mit den Wahrnehmungen um den Überfall Nazi-Deutschlands auf die damalige Sowjetunion am 22. Juni 1941 ergänzen. Die NS-Führung verkaufte ihren Krieg unter anderem als einen zum „Schutz der Kultur“ – und gegen „Barbarei“ – geführten.

 

„Schutz der Kultur“: ab Minute 1:51; Deutsche Wochenschau Nr. 564 vom 25. Juni 1941

 

Kultur wurde in (Zentral-) Europa verortet, welches gleichfalls „geschützt“ werden sollte. Vor einer „bolschewistisch-jüdischen Weltverschwörung“, vor einer dem Russen attestierten „Heimtücke“ und „Bedrohung“. Auch damals wurde propagandistisch nichts unversucht gelassen, um das eigene Volk samt seiner Kultur zu überhöhen und den überfallenen Feind gleichzeitig zu entmenschlichen. So wurde dem Russen, dem „Bolschewisten“, jegliche Kultur abgesprochen, er wurde als „Untermensch“ klassifiziert, sogar die sowjetischen Soldaten wurden zumindest 1941 als „wilder, verkommener Haufen“ dargestellt.

Mittlerweile wurde von der Kulturplattform Oberösterreich ein Wettbewerb um einen alternativen Begriff zu „Kulturschaffende“ ausgeschrieben.

https://kupf.at/blog/kulturx/

Im STANDARD erschien dazu am 3. April 2021 ein Artikel:

https://www.derstandard.de/story/2000125574320/warum-der-begriff-kulturschaffende-ns-belastet-ist

Zweifellos handelt es sich um ein nicht einfaches Unterfangen, einen „belasteten“ Begriff durch einen neutralen zu ersetzen, zumal kaum jemand eine Kenntnis davon besessen und somit keine Belastung empfunden hatte. In der heutigen Zeit ist dieser Begriff nicht negativ assoziiert und kann somit nur aus historischer Sicht eine entsprechende Beurteilung erfahren – quasi nachträglich. Doch ist dies notwendig?

Zudem existieren zahlreiche Begriffe, welche in den Mantel einer „Belastung“ gekleidet werden könnten, sie sind nach wie vor Bestandteil der eigenen Sprache, gleichgültig, ob als ehemalige Neukonstruktion entstanden oder aus einem alten Sprachgebrauch übernommen. Bedeutungen entstehen erst durch jene Personen, von welchen diese verwendet werden.

Die Führung Nazi-Deutschlands hatte zum Beispiel viel von „Europa“ gehalten und eine „europäische Gemeinschaft“ propagiert, natürlich unter deutscher Vorherrschaft und „Führung“, dem folglich ein „Führer“ (Anführer) vorsteht. Interessanterweise existiert heute ein ähnliches Gebilde, und Kriege geführt wurden auch nach 1945, wobei der Begriff „Krieg“ durch verharmlosende Wortgebilde verschleiert wurde wie beispielsweise mit dem perfiden „humanitären Einsatz“.

Ein weiteres Beispiel ist der Propagandabegriff „Machthaber“, mit welchem das damalige NS-Propagandaministerium gerne die Regierungen in London und in Moskau tituliert hatte. Dieser Begriff wird noch heute aus den selben Gründen abwertend für jene Staatsregierungen verwendet, welche von NATO- und EU-Staaten mit Krieg und Regierungsumstürzen überzogen wurden und werden. Hier scheint noch niemand ein Problem mit der Verwendung von belasteten Begrifflichkeiten erkannt zu haben.

Es gab im „Westen“ auch keinen Aufschrei, als nach dem durch NATO-Staaten initiierten Putsch in der Ukraine der ehemalige und von den USA gestützte und finanzierte nationalistische Regierungschef Jazenjuk die ihnen widerspenstige Bevölkerung im Donbass vor der Militärkampagne der ukrainischen Nazis pauschal als „Untermenschen“ zu entwerten versuchte. Nazi-Brigaden mit den Abzeichen von Wolfsangel und Totenkopf wurden „übersehen“, denn sie gehörten laut NATO/EU-Diktion zu den „Guten“. 

https://geradeaufgeschnappt.blogspot.com/2014/06/yatsenyuk-und-die-untermenschen.html

https://kraeutermume.wordpress.com/2014/06/19/russische-botschaft-in-kiew-angegriffen-jazenjuk-spricht-von-untermenschen/

https://venik4.livejournal.com/52384.html

 

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Oder als unlängst ein Berater der Bundesregierung Deutschlands, ein Rolf Schwartmann, öffentlich Impfverweigerer als „Volksfeinde“ bezeichnete.

https://www.anti-spiegel.ru/2021/berater-der-bundesregierung-nennt-impfverweigerer-volksfeinde/

Wir stellen also fest, dass Begrifflichkeiten und Sprache auch immer Teil einer Propaganda bzw. Kriegspropaganda darstellen, welche auf allen Ebenen geführt wird. Kritische Formen der Kultur sind – nebenbei bemerkt – auch heute nicht populär. Vielleicht lassen sich die einen oder anderen Begriffe tilgen, aber diese werden durch neue Begriffe ersetzt werden, welche durchaus wieder Einzug in Propaganda halten können. Das eigentliche Problem stellen das politische Personal und die für die Verbreitung zuständigen Massenmedien dar, welche Begriffe in einen (negativen) Kontext stellen und aggressiv einer bestimmten Agenda unterordnen. Das lässt sich tagtäglich beobachten, außenpoltisch ohnehin, derzeit auch zunehmend innenpolitisch.

Daran wird auch der Austausch von Begrifflichkeiten nichts ändern.

 

 

Freitag
30
April 2021
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