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Café Wenninger

Das urige Café Wenninger schloss leider seine Pforten am Morgen des 1. Juli 2012.

Max Reger kam nicht umhin, seine Trauer öffentlich zu machen (NÖN, 2. Juli 2012), nicht nur wegen der einmaligen Lokalität in dieser Stadt, sondern auch wegen dem weiteren Verlust von Kultur.

Hier sein  Brief an Gerhard Schneider :

 

Ich bin besorgt!

Ich bin besorgt, daß wieder eine- ich möchte sagen-Wr. Neustädter Institution, die über viele Jahre für das kulturelle und intellektuelle Leben in dieser Stadt einen Raum gegeben hat, verloren geht.

Es wird nicht viele Wr. Neustädter in meinem Alter geben, die nicht besondere Erinnerungen an dieses Kaffee in sich tragen. An seinen alten, manchmal etwas schrulligen Besitzer und Namensgeber Wenninger,- den Ober Kirner, der noch als Piccolo im vornehmsten Kaffee Wr. Neustadt, dem „Lehn“, das sich an der Stelle des heutigen Hypobrunnens befand, gelernt hatte und welcher täglich im Smoking auf dem Fahrrad zur Arbeit kam und noch etwas von der Ruhe und Atmosphäre einer vergangenen Welt herübergerettet hatte. Da war der Herr Franz, der als ambitionierter Hutträger nicht umhin konnte, sich mit huttragenden Gästen fachspezifisch auszutauschen.

Axel Corti schätzte den besonderen, etwas abgetragenen Charme dieses Kaffees und drehte zwei Szenen seiner Filme in diesem Lokal. Von den Tantiemen konnte sich der Cafetier neue Bespannungen für seine Sitzmöbel leisten, welcher Umstand Vorsichtsmaßnahmen vor dem Platznehmen bedeutend reduzierte.

Sicher, die Zeiten ändern sich und Vergangenes muss Neuem Platz machen. Aber wo ist das Neue, das die letzten Beispiele kultureller Tradition ersetzt? Leben wir nicht in einer Kultur, die Ihr Selbstverständnis in hohem Maß aus der Geschichte bezieht?

In den Jahren, in denen ich in Wr. Neustadt lebte sind viele der wenigen noch erhaltenen Dokumente unserer Vergangenheit verschwunden, oder wurden durch Unwissenheit oder Leichtfertigkeit in Ihrem Bestand oder in Teilen davon geschädigt oder unkenntlich gemacht.

Raritäten, wie eine noch erhaltene manieristische Grotte, die sich noch dazu in unmittelbarer Umgebung des Kaffes Wenninger befindet, ist kaum bekannt und in das Leben der Stadt nicht eingebunden.

Der alte Sinnzusammenhang der Alleeachse zwischen dem Eingang zur Aula der (auch bereits abgerissenen) gründerzeitlichen Realschule zum Aufgang der Aula des Gerichtes, ist durch einen modernen schachtelförmigen Supermarkt gestört. Der Sinnzusammenhang von Regelvermittlung und Regelsicherung oder einfacher Lehre und Recht ist zerstört.

Nicht, daß sich nicht alles im Wandel befindet, aber wo sind die einfühlsamen Bauten, die auch als Architektur Sinn stiften? Das neue Rathaus?- eine Anmaßung auf diesem Platz! Das neue Hallenbad? -auch städtebaulich ins Abseits gestellt! Das Gebäude der E-Wirtschaft?-dort stand das letzte vollkommen erhaltene Gründerzeitensemble dieses Straßenzuges! (auch gleich neben dem Kaffee Wenninger). Ich habe in einer Ablichtung der alten Baubestimmungen für die Kernzone der Stadt nachgeblättert und dort gelesen, daß historische Häuser dieser Zone nicht abgerissen werden dürfen, und insbesondere Glasfassaden nicht zu genehmigen sind! Wie gibt es das?

Ich habe mich, da ich auch als Selbstständiger in dieser Stadt lebe hier weit hinausgewagt. Die alte Frage zwischen der persönlichen Freiheit zu handeln und Interessen der Gemeinschaft stehen immer zur Diskussion.

Beispiele in vielen Städten zeigen aber, daß der Erhalt besonderer Belege der Geschichte auch wirtschaftlich positiv wirksam sind. Die Messing-Pflastersteine in Wr. Neustadt zeigen im Übrigen, daß in manchen Bereichen dieser Zusammenhang von Ort und Geschichte doch wahrgenommen wird.

Für das „Wenninger“ habe ich vernommen, daß es durchaus schon Bemühungen um eine Rettung mit wirtschaftlich interessanten Angeboten gibt. Auch das AMS hätte doch sicher einen weiter definierten Auftrag, der durchaus mit der Auslöschung in Wiederspruch stehen könnte. Vielleicht könnte sogar durch das AMS mit der Schaffung eines eigenen Betriebes etwas auf besondere Weise vereint werden.

Es geht hier nicht nur um das Schließen eines Betriebes, es geht um die grundsätzliche Frage, wie wir als Bürger unser Zusammenleben verstehen und – eben auch in einer sich wandelnden Welt- verändern wollen. Wir brauchen Plätze des Austausches, die noch nicht durch „Musiksmog“(Harnoncourt)mit Flachbrettschirmen konzentrierten geistigen oder geselligen Austausch torpedieren.

Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass – wie Brück das so pointiert angemerkt hat, – wir uns nicht auf Grund unserer Geschichte interpretieren, sondern die Geschichte schon unsere Interpretation ist!

Das „Wenninger“ wirft hier wichtige Fragen aktuell auf.

Wir sollten uns noch die natürlichen Garne erhalten, aus denen sich immer wieder neue Stoffe weben lassen.

Max

Und Gerhard Schneider alias „Gerard“:

 

25.6.2012

Lieber Max,

deinen Nachruf, der eigentlich ein Aufruf ist, finde ich durchaus  stimmig  und

gut formuliert. Vieles triffst Du auf den Punkt und führst  historische Schmankerl

an, die bereits meiner Generation sehr exotisch anmuten.

Zu den verlorenen Ensembles könnte man auch das alte Bräuhaus  zählen,

wofür es auch Interessenten gegeben hätte, politisch aber mit  der kulturellen

Nutzung der nahen Kasematten argumentierte, was ob der hohen

Renovierungskosten naheliegenderweise auch wieder eingeschlafen ist…

 

Das Kreisgericht als Blick- und Zielpunkt der Stadtparkallee ist klar,

bis zum Bau der Brücke über die Bahn war der Weg noch durchgängig. Es

war nebenbei erwähnt mein Heimweg von der Volksschule. Den

Zusammenhang mit der Realschule habe ich natürlich nicht mehr geahnt,

ist aber städte-baulich ein recht interessanter Aspekt! Den Supermarkt

als Zielpunkt (heißt auch so!!) finde ich heutigentags  eh passender.

Das konsumieren hat dem  ‚sich bilden‘ ohnehin den Rang abgelaufen!

 

Nochmals zum Wenninger: Auch Wolfgang Murnberger (Komm Süßer Tod,

Silentium etc) sowie auch regionale Filmschaffende haben das Cafe als

Drehort verwendet. Der Corti-Sager vom einzigen Altwiener Kaffeehaus

außerhalb Wiens ist sowieso legendär.

 

Meine Erinnerungen und Bezüge zum Wenninger sind z.T. andere (z.B. als

Treffpunkt der Neustädter Szene in den 80ern und frühen 90ern),

mischen sich aber gut zum historischen Gesamtbild. Wenn ich von meiner

Mutter höre, dass sie in den 70ern das C.W. häufig frequentierte, oder

wie zuletzt im Einhorn DI Rosmann ähnliches äußerte, dann kann man

schon ziemlich gut den generationen-überspannenden Bogen ermessen, den

diese Institution ausmachte und zurecht wehmütig stimmen.

 

Bestehende Traditionen aufgreifen und etwas Neues draus machen  -erweitern

– von einer anderen Seite betrachten/ interpretieren etc.

Das wäre eigentlich ein angemessener Umgang mit historisch Gewachsenem,

aber das ist – bis auf wenige Ausnahmen – unserer Zeit komplett fremd.

 

In diesem Sinne wäre es wirklich spannend zu sehen, welche Adaptionen

Roman Schärf vornehmen würde und was er beließe! Ich denke mir,

möglicherweise wäre etwas Spannendes dabei herausgekommen.

 

Aber warum sollte in einer Phase politischer Unkultur gerade so etwas

wie das Wenninger erhalten bleiben?

 

Herzliche Grüße

Gerard Schneider

 

An dieser Stelle nochmals vielen Dank an Max und Gerhard für die Bereitstellung ihrer Briefe!

Schauen wir uns an, wie mit Hilfe einer externen Beratung auch die obere Neunkirchener Straße zu einer grandiosen Erlebniswelt umgestaltet werden wird, wie seitens der Stadt angedeutet wurde. Mit einem neuen chicen Büropalast, mit der Polizei, mit dem EVN-Gebäude und bald auch mit einer noch größeren AMS-Struktur.

Frohes Shopping!

 


Freitag
20
Juli 2012
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