Bedürftig. Wirklich bedürftig.

Bedürftig – 28. Kandidat: Chris D.

 

Unserem Bedürftigen-Reporter Bernd Bieglmayer gelang das Kunststück, in unserer Bedürftigen-Redaktion einen unsichtbaren Bedürftigen zu präsentieren, also eine Person, die nirgends zu sehen war oder auch sonstwie nicht auffiel.

So war es nachvollziehbar, dass sich diese Person, ein Herr Chris D., erst gar nicht überreden lassen musste, Herrn Bieglmayer in die Redaktion zu begleiten, bot dieser Besuch doch die Möglichkeit, aus dem Unsichtbaren hinaus in die öffentliche Wahrnehmung zu treten. Dorthin, wo der Narzissmus befriedigt werden konnte.

Wir von der Bedürftigen-Redaktion gaben diesem Mann nun die Gelegenheit, sich entsprechend vorzustellen. Herr D. verkündete sogleich mit einer gewissen Selbstsicherheit, dass es sich bei ihm um einen Schauspieler handeln würde. Wir waren überrascht, denn wir kannten ihn nicht. Selbst unsere Reinigungsdame, eine eingeschworene TV-Konsumentin, wusste weder mit seinem Namen noch mit seinem Gesicht etwas anzufangen.

Diese Tatsache ließ den unbekannten Schauspieler nicht nur die Selbstsicherheit verlieren, er verlor auch seine Contenance. In einem spontanen Anfall von Wut quetschte er unserer protokollierenden Sekretärin die Hand. Das war nicht schön anzusehen, erhöhte aber die Aussicht von Herrn D., in den wahrgenommenen Kreis der Bedürftigen aufgenommen zu werden.

Zur Versachlichung lenkten wir unser Gespräch auf die Frage, warum ausgerechnet er, der Schauspieler Chris D., zu den populären Bedürftigen zählen könnte. Das vermochte Herr D. allerdings so nicht zu beantworten. Er behauptete, zumindest populär zu sein und verwies auf eine Filmliste, welche uns nicht viel sagte. Als Höhepunkt eines Weges mochten hier noch sechs Sekunden in der Rolle eines Nazi-Soldaten gelten, das schien international, handelte es sich bei dem Streifen um eine US-Pathos-Produktion.

 

Bedürftiger Chris D. 1

 

 

Für uns war das schlichtweg zu wenig; zu wenig, um bekannt zu sein, zu wenig, um bedürftig zu sein. Herr D. reagierte daraufhin ein wenig ungehalten und führte schließlich an, dass es sich bei ihm um einen „Festival-Direktor“ handeln würde. Leider ohne Festival, was nun zumindest bei unserer Reinigungsdame ein wenig Mitleid erregte.

Wir konnten es drehen und wenden, wie wir wollten: wir fanden nichts, was Herrn D. aufgrund von nicht sichtbaren Kompetenzen auch nur den geringsten Anspruch erlaubt hätte. Wir waren ihm sogar noch entgegengekommen und hatten ihm vorgeschlagen, sich wenigstens als „arbeitslos“ zu bezeichnen. Aber davon hatte Herr D. ebenfalls nichts wissen wollen.

Uns in der Bedürftigen-Redaktion blieb schließlich nichts anderes übrig, als dem unsichtbaren Schauspieler mitzuteilen, dass wir ihm eine Rolle als Bedürftigen der Woche nicht anzubieten vermochten. Unsere Sekretärin, auf Herrn D. nicht mehr gut zu sprechen, bestärkte uns in dem Entschluss. Sie wollte erfahren haben, dass Herr D. sein Geltungsbedürfnis erfolglos als Gemeindebediensteter in einem kleinen Provinzstädtchen ausüben durfte. Gönner in der Stadtverwaltung sollen ihn dort mit einem Gehalt versorgt haben, welches zehn echte Bedürftige aus ihrer Bedürftigkeit gerettet hätte.

Wir boten Herrn D. noch eine Stellungnahme an, doch er schwieg. Nachdem Bernd Bieglmayer dann so nett gewesen war, ihn zur Tür hinaus zu geleiten, entbrannte in unserer Redaktion eine erregte Debatte. An deren Ende stand fest, den Herrn D. nachträglich zu einem Bedürftigen des Monats zu küren. Dies allerdings nur mit einer denkbar knappen Mehrheit.

Freitag
12
Oktober 2018
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